Definitive Stilllegung von Doel 3 und Tihange 2

Gemäß dem Gesetz zum Atomausstieg wurde Doel 3 am Freitag, den 23. September 2022 um 21.31, nach vierzigjährigem Betrieb endgültig vom Netz genommen. Am Dienstag, 31. Januar 2023, folgte Tihange 2. Doel 3 und Tihange 2 sind damit die ersten belgischen Kernkraftwerke, die die Stromproduktion endgültig eingestellt haben.

Wie es begann

Hoe het begonAm 1. Januar 1975 beginnt der Bau des dritten Blocks des neuen Kernkraftwerks auf dem Gelände des Energieunternehmens Ebes im Polderdorf Doel am Ufer der Schelde. In Huy in der Provinz Lüttich entsteht auf dem Intercom-Gelände am rechten Ufer der Maas ein ähnlicher Neubau: Tihange 2. Ein Konsortium, bestehend aus dem französischen Kernkraftwerksbauer Framatome, dem Elektromaschinenhersteller ACEC aus Charleroi und dem Lütticher Stahlerzeuger Cockerill, baut die Anlage nach einem Entwurf des US-Unternehmens Westinghouse. Es handelt sich um Druckwasserreaktoren (bzw. PWR – pressurised water reactor) mit drei primären Kühlwasserkreisläufen und einer elektrischen Nettoleistung von 900 MW. Die Dampfturbinen werden vom französisch-amerikanischen Unternehmen Alsthom Atlantique geliefert. Am Ufer der Maas entsteht zur gleichen Zeit ein Kernkraftwerk ähnlicher Bauart: Tihange 2.

 

Meilensteine

  • 14. Juni 1982: Reaktor Doel 3 zum ersten Mal kritisch.
  • 23. Juni 1982: Doel 3 geht erstmals ans Netz.
  • 1. Oktober 1982: Offizielle Inbetriebnahme von Doel 3.
  • 5. Oktober 1982: Erste nukleare Kettenreaktion im Reaktor Tihange 2.
  • 13. Oktober 1982: Tihange 2 geht erstmals ans Netz.
  • 1. Februar 1983: Offizielle Inbetriebnahme von Tihange 2.
  • 1993: Austausch der Dampfgeneratoren bei Doel 3.
  • 2001: Austausch der drei Dampfgeneratoren von Tihange 2 in 62 Tagen, damals Weltrekord.
  • 2010: Mit einer Jahresproduktion von 8824 GWh bricht Tihange 2 den belgischen Rekord. Dieser Rekord wurde im folgenden Jahr von Tihange 3 erneut gebrochen.
  • 4. Juli 2012: Start des Dossiers zu Wasserstoffeinschlüssen im Reaktorbehälter von Doel 3.
  • 2. Oktober 2012: Verschiebung des Neustarts von Tihange 2 nach der Entdeckung von Wasserstoffbehältersystemen in der Reaktorbehälterwand.
  • 17. November 2015: FANC genehmigt den Neustart von Doel 3 und Tihange 2.

 

Controlezaal Transport stoomgenerator

 

40 Jahre Doel 3 in Zahlen

1006 Megawatt Leistung
11 924 Tage Betriebszeit
Mehr als 270 000 000 000 erzeugte Kilowattstunden Strom
90 205 Komponenten zu demontieren

 

40 Jahre Tihange 2 in Zahlen

1008 Megawatt Leistung
11 963 Tage Betriebszeit
Mehr als 270 000 000 000 erzeugte Kilowattstunden Strom

 

Lebenszyklus von Doel 3

Der Lebenszyklus eines Kernkraftwerks reicht vom ersten Spatenstich bis zur Freigabe des Standorts für eine andere Folgeverwendung. Für Doel 3 und Tihange 2 entspricht er einem Zeitraum von über 60 Jahren.

Doel 3:

Lifecycle Doel 3

Tihange 2:

Lifecycle Tihange 2

Die endgültige Stilllegungsphase ist notwendig, weil die Brennelemente nach der Entnahme aus dem Reaktor mehrere Jahre lang unter Wasser abkühlen müssen. Dies geschieht in speziellen Abklingbecken, die sich in einem separaten Bunkergebäude neben dem Reaktorgebäude befinden. Sobald die Brennelemente ausreichend abgekühlt sind, werden sie in spezielle Lager- und Transportbehälter umgefüllt. Electrabel lagert diese Behälter in einem Zwischenlager auf dem Gelände des Kernkraftwerks, bis sie den Behörden zur endgültigen Entsorgung übergeben werden. Die Abschaltphase endet, wenn alle Brennelemente und Gefahrstoffe aus den Doel-3-Anlagen entfernt wurden.

Electrabel wird dann mit dem eigentlichen Rückbau des Kernkraftwerks beginnen. Dabei geht es vor allem um die „Big Four“: die Demontage des Reaktors und seiner Einbauten, der schützenden Betonstruktur rund um den Reaktorbehälter und des Primärkreislaufs einschließlich der Dampfgeneratoren. Hinzu kommen die Entfernung aller Rohre, Kabel und sonstiger Anlagen sowie die Schaffung der erforderlichen Infrastruktur zur Entsorgung von Material und der beim Rückbau anfallenden Abfälle.

Erst nachdem Electrabel alle radioaktiven Spuren aus den Anlagen entfernt hat, beginnt die Endphase, in deren Rahmen alle verbleibenden Strukturen vollständig abgerissen werden.

 

Stilllegungsphase

Am Freitagabend, dem 23. September 2022 um 21.31, schalteten die Bediener im Kontrollraum von Doel 3 den Reaktor endgültig ab und trennten ihn vom Hochspannungsnetz.Am 31. Januar 2023 um 22.45 Uhr passierte dasselbe in Tihange 2.

 

Zu Beginn eines neuen Brennstoffzyklus ist die Reaktivität des Kerns sehr hoch. Um das Gleichgewicht der Kernreaktion aufrechtzuerhalten, muss ein Teil der bei jeder Spaltung freigesetzten Neutronen absorbiert werden. Dies erfolgt, indem man dem Kühlwasser Borsäure hinzufügt und die Brennstäbe vollständig in den Kern absenkt.

Mit dem Fortschreiten des Brennstoffzyklus nimmt die Reaktivität ab. Die Borsäurekonzentration im Primärwasser wird schrittweise reduziert, wobei die Regelstäbe zusehends weiter vom Reaktorkern entfernt werden, um die Kernreaktion im Gleichgewicht zu halten.

Beheersing kernreactie

Am Ende des Brennstoffzyklus kommt der Zeitpunkt, an dem die Borsäurekonzentration gleich Null ist und die Regelstäbe vollständig hochgezogen sind. Zu diesem Zeitpunkt wird die Temperatur des Kühlwassers abgesenkt, um sicherzustellen, dass die Reaktivität hoch genug bleibt, um die nukleare Kettenreaktion in Gang zu halten. Dies verursacht einen Leistungsabfall. Die Anlage befindet sich dann im Stretch-out.

 

In den folgenden Wochen führen die Mitarbeiter die im Rahmen der jährlichen Wartungspausen üblichen Arbeiten aus. Ein paar Tage nach Abschaltung des Reaktors lösen sie alle Kabel vom Reaktor, entfernen die Bolzen des Reaktordeckels und öffnen den Reaktor. Sie füllen das Abklingbecken – womit die Strahlung des Reaktorkerns optimal abgeschirmt wird – und entfernen die oberen Einbauten des Reaktors. Dann heben sie die 157 je etwa vier Meter langen Brennelemente Stück für Stück aus dem Reaktor und setzen sie auf das Transportsystem, das die Elemente zu den Abklingbecken in einem Bunker neben dem Reaktorgebäude verbringt. All dies geschieht immer noch vollständig unter Wasser.

Zicht in de kern

Ein Blick ins Innere des Kraftwerks? Sehen Sie sich unser Video zur Überholung von Doel 4 an
Ein Blick ins Innere des Kraftwerks? Sehen Sie sich unser Video zur Überholung von Tihange 2 an

In der nächsten Phase beginnen die Mitarbeiter mit der chemischen Dekontamination des Primärkreislaufs. Der Primärkreislauf umfasst den Reaktor, die Primärpumpen, die primären Kühlwasserleitungen und den Druckkontrollbehälter.

Die Arbeiten an den Abklingbecken werden ebenfalls im Jahr 2023 einsetzen. Die Brennelemente aus früheren Reaktorzyklen – die bereits seit mehreren Jahren abgekühlt sind – werden unter Wasser in spezielle Lager- und Transportbehälter umgeladen. Diese (gefüllten) Behälter werden aus dem Wasser gehoben, getrocknet, hermetisch verschlossen und in ein Gebäude für die Zwischenlagerung verbrauchter Brennelemente auf dem Gelände des Kernkraftwerks verbracht.

Zicht binnen SF² Zicht op SF²

Weitere Informationen zu den Brennstoffbehältern und Gebäuden für die Zwischenlagerung

In der Stilllegungsphase erfolgt selbstverständlich noch mehr. Solange sich Brennstoff in den Abklingbecken befindet, müssen bestimmte Systeme in Betrieb oder im Stand-by-Modus bleiben, um die Kühlung des Brennstoffs unter allen Bedingungen zu gewährleisten: Kontroll-, Mess- und Steuerungssysteme, elektrische Schalttafeln und Schalter, Notstromaggregate, Feuerlöschsysteme, Lüftungssysteme, Pumpen, Rohrleitungen und Lagertanks für Kühlwasser und andere Flüssigkeiten, Filtersysteme usw. Ein Teil der Mitarbeiter wird also weiterhin mit der Überwachung, Überprüfung und Wartung all dieser Systeme beschäftigt sein.

Da das nukleare Risiko durch die weitere Abkühlung des Brennstoffs im Verlauf der Stilllegungsphase jedoch zurückgeht, werden immer weniger Sicherheitssysteme benötigt. Die nicht mehr benötigten Systeme werden anhand eines sorgfältig geplanten Verfahrens nach und nach außer Betrieb genommen.

Sobald die Abklingbecken im Jahr 2027 vollständig geleert sind und alle Brennstoffbehälter zwischengelagert wurden, beginnt die Dekontaminierung der Abklingbecken mit den zugehörigen Kühlsystemen. Nach Abschluss dieser Arbeiten sind die Anlagen von Doel 3 größtenteils frei von Radioaktivität. Nun werden die letzten Abwässer und Gefahrstoffe entfernt. Jetzt ist alles für den vollständigen Rückbau der Anlage vorbereitet.

Schließlich erfordert die Vorbereitung der Stilllegung von Doel 3 und Tihange 2 auch den Bau neuer Infrastruktur für die Stilllegungsaktivitäten: Abfalllagerflächen, Anlagen zur Behandlung von Abfällen und großen Komponenten, Anlagen für Freimessungen usw.

 

Rückbauphase

Sobald die Arbeiten im Rahmen der Stilllegungsphase weit genug fortgeschritten sind, und soweit die Genehmigung dies zulässt, beginnt Electrabel mit dem Rückbau der Anlagen – nach der derzeitigen Planung bereits im Jahr 2026. Entscheidend für die Dauer dieser Phase sind die Rückbauarbeiten innerhalb des Reaktorgebäudes. Die sonstigen Anlagen – wie die Maschinenhalle, die Gebäude mit den elektrischen Anlagen und Steuerungssystemen, die Bunker der Sicherheitssysteme der zweiten Ebene – werden parallel dazu zurückgebaut.

Der Rückbau des Reaktorgebäudes beginnt mit dem Zerlegen und Entfernen der Einbauteile des Reaktors. Beispiele dafür sind die Gitterhalterungen für die Brennelemente, die stählerne Fundamentplatte und die Steuerstabkontrollsysteme. Diese Stahlteile sind durch die jahrzehntelange Einwirkung der Strahlung aus dem Reaktorkern radioaktiv kontaminiert. Das Zerlegen mithilfe eines Schneideverfahrens erfolgt daher unter Wasser mit ferngesteuerten Robotern. Die abgetrennten Teile werden daraufhin in speziell dafür vorgesehenen Behältern gelagert.

Nach den Einbauten wird auch der Reaktorbehälter selbst demontiert. Spezielle Trennmaschinen sägen die 20 Zentimeter dicken Stahlwände des Behälters in kleine Stücke, die ebenso wie die Einbauteile des Reaktors in Containern gelagert werden.

Der nächste Schritt ist der Rückbau des Primärkreislaufs. Mit Sägemaschinen aus Wolfram oder Diamant werden die Stahlrohre des Primärkühlkreislaufs zerlegt und von den Hauptkomponenten, d. h. vom Dampfgenerator und Druckhaltebehälter getrennt. Diese Komponenten werden als Ganzes ausgebaut und noch am Standort selbst demontiert. Da diese Komponenten wesentlich weniger radioaktiv sind, braucht das Zerlegen nicht unter Wasser zu erfolgen, obwohl auch hier teils ferngesteuerte Maschinen zum Einsatz kommen.

Sobald der Reaktorbehälter vollständig entfernt ist, kann die Arbeit am biologischen Schild beginnen – der 2,65 Meter starken Betonummantelung des Reaktorbehälters. Aufgrund der jahrzehntelangen hohen Strahlenbelastung hat sich die Innenseite dieses Betonrings radioaktiv aufgeladen. Die radioaktive Betonschicht wird sorgfältig abgetragen, entsprechend behandelt und als radioaktiver Abfall zu Belgoprocess verbracht.

Nach Entfernung des biologischen Schildes werden alle sonstigen Betonstrukturen im Reaktorgebäude überprüft. Mit speziellen Messgeräten überprüfen die Mitarbeiter jeden Zentimeter auf mögliche Radioaktivität. Wo nötig, werden die Oberflächen schichtweise abgetragen, um alle radioaktiven Partikel zu entfernen. Nach Abschluss dieser Arbeiten wird das Reaktorgebäude auf konventionellem Wege abgerissen.

 

Endphase

Am Ende der Rückbauphase sind alle Teile des Kernkraftwerks vollständig frei von Radioaktivität bzw. von Gefahrstoffen. Die verbleibenden Strukturen und Gebäude werden mit konventionellen Abbruchmethoden vollständig abgerissen. Sobald alle Blöcke abgerissen sind, wird das Gelände für die neue industrielle Folgeverwendung vorbereitet.

Wichtig ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich zu diesem Zeitpunkt an beiden Standorten noch Kernbrennstoffe in den bereits erwähnten Zwischenlägern befinden. Der Sicherheitsbereich um diese Zwischenläger wird möglicherweise kleiner sein als der jetzige Standort, aber ihr Vorhandensein bedeutet, dass bestimmte – hauptsächlich sicherheitstechnische – Einschränkungen bei einer Folgeverwendung des Geländes gelten werden.