Die Abschaltung und Stilllegung eines Kernkraftwerks
Der Lebenszyklus eines Kernkraftwerks erstreckt sich vom ersten Spatenstich bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Standort für die Entwicklung anderer Aktivitäten freigegeben wird. Im Falle der belgischen Kernkraftwerke umfasst er insgesamt 60 bis 70 Jahre - je nach Block.
Neben Bau und Betrieb gehören auch die Stilllegung und der Rückbau zum Lebenszyklus eines Kernkraftwerks. Die ersten Vorbereitungen für die Stilllegung und den Rückbau beginnen bereits Jahre bevor das Kernkraftwerk seine letzten Megawattstunden Strom produziert. Das Ziel: alle radioaktiven Stoffe sicher zu entfernen und den Standort für künftige neue Aktivitäten zu räumen.
Die Einstellungsphase
Die Phase der endgültigen Stilllegung des Kernkraftwerks beginnt zum Zeitpunkt der endgültigen Abschaltung. Ziel dieser Phase ist es, das Kernkraftwerk auf die eigentliche Stilllegung vorzubereiten, indem bereits ein Großteil des nuklearen Risikos beseitigt wird.
In den ersten Wochen der Stilllegungsphase führen die Mitarbeiter die Tätigkeiten aus, die sie aus den jährlichen Wartungsperioden gewohnt sind. Sobald die Anlage ausreichend abgekühlt ist, trennen sie alle Kabel vom Reaktor, schrauben die Reaktordeckelschrauben ab und öffnen den Reaktor. Sie füllen das Reaktordock mit Wasser - das die Strahlung des Reaktorkerns sehr gut abschirmt - und entfernen die oberen Innenteile des Reaktors. Dann heben sie mit einer speziellen Entladungsmaschine die Brennelemente Stück für Stück aus dem Reaktor. Die Maschine setzt die Brennelemente auf ein Transportsystem - ebenfalls vollständig unter Wasser -, das sie zu den Kühldocks bringt, die sich in einem Bunker neben dem Reaktorgebäude befinden.
In der nächsten Phase werden die Arbeiten an den Kühldocks beginnen. Die Brennelemente, die bereits vor einigen Jahren aus dem Reaktor entnommen wurden - und somit bereits ausreichend Zeit zum Abkühlen hatten - werden unter Wasser in spezielle Lager- und Transportbehälter umgeladen. Die gefüllten Behälter werden aus dem Wasser gehoben, getrocknet, hermetisch versiegelt und in ein speziell für die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente konzipiertes Gebäude auf dem Gelände des Kernkraftwerks gebracht.
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Weitere Informationen zu Kraftstoffbehältern und Zwischenlagergebäuden
Natürlich passiert während der Abschaltphase noch mehr. Solange sich noch Brennstoff in den Kühldocks befindet, müssen bestimmte Systeme in Betrieb oder in Bereitschaft bleiben, um die Kühlung des Brennstoffs unter allen Bedingungen zu gewährleisten: Kontroll-, Mess- und Steuerungssysteme, elektrische Schalttafeln und Schalter, Notstromaggregate, Brandbekämpfungssysteme, Lüftungssysteme, Pumpen, Rohrleitungen und Lagertanks für Kühlwasser und andere Flüssigkeiten, Filtersysteme usw. Ein Teil der Mitarbeiter wird also weiterhin all diese Systeme überwachen, prüfen und warten.
Im Laufe der Abschaltphase wird das nukleare Risiko jedoch abnehmen, da der Kernbrennstoff weiter abkühlt, so dass immer weniger Sicherheitssysteme benötigt werden. Die Systeme, die nicht mehr benötigt werden, werden nach sorgfältiger Planung außer Betrieb genommen.
Nach vier bis fünf Jahren, wenn auch die Kühldocks vollständig entleert sind und alle Brennstoffbehälter in den Zwischenlagergebäuden Platz gefunden haben, wird das Personal die Kühldocks und die dazugehörigen Kühlsysteme gründlich reinigen. In der Zwischenzeit sind auch der Reaktor und der restliche Primärkreislauf durch chemische Reinigung zu etwa 97 % von der restlichen Radioaktivität befreit worden. Die letzten Abwässer und gefährlichen Stoffe werden noch entfernt. Nun ist alles bereit für die vollständige Stilllegung der Anlage.
Die Stilllegungsphase
Sobald die Aktivitäten der Stilllegungsphase ausreichend fortgeschritten sind und die Genehmigung dies zulässt, wird Electrabel mit der Stilllegung der Anlagen beginnen - etwa 5 Jahre nach der Abschaltung des Reaktors.
Die Dauer der Stilllegungsphase wird durch die Aktivitäten im Reaktorgebäude bestimmt. Der Rückbau der anderen Anlagen - wie der Maschinenhalle, der Gebäude mit den elektrischen Anlagen und Kontrollsystemen sowie der Bunker für die Sicherheitssysteme der zweiten Ebene - erfolgt parallel dazu.
Die Demontage des Reaktorgebäudes beginnt mit dem Zerlegen und Entfernen der inneren Teile des Reaktors. Dazu gehören zum Beispiel die Gitterroste, die die Brennelemente an ihrem Platz halten, die Bodenplatte, auf der alles ruht, und die Steuerstabkontrollsysteme. Diese Stahlteile sind durch die jahrzehntelange Einwirkung der Strahlung aus dem Reaktorkern radioaktiv geworden. Das Schneiden erfolgt daher unter Wasser mit ferngesteuerten Robotern. Die zerschnittenen Teile werden dann in speziell dafür vorgesehenen Behältern gelagert.
Nach den Innenteilen wird auch der Reaktorbehälter selbst demontiert. Spezielle Sägemaschinen zerschneiden die 20 Zentimeter dicken Stahlwände des Behälters in kleinere Stücke, die ebenso wie die Reaktoreinbauten in Containern gelagert werden.
Der nächste Schritt ist die Demontage des Primärkreislaufs. Die Stahlrohre des primären Kühlkreislaufs werden mit Sägen aus Wolfram oder Diamant durchtrennt und von den Hauptkomponenten wie den Dampferzeugern und dem Druckhaltebehälter getrennt. Diese Komponenten werden in ihrer Gesamtheit ausgebaut und an einen Ort vor Ort gebracht, wo sie demontiert werden. Da diese Komponenten wesentlich weniger radioaktiv sind, muss das Schneiden nicht unter Wasser erfolgen, obwohl auch hier manchmal ferngesteuerte Maschinen eingesetzt werden.
Sobald der Reaktorbehälter vollständig entfernt ist, können die Arbeiter den biologischen Schild in Angriff nehmen, eine mehr als zwei Meter dicke Betonwand, die den Reaktorbehälter umgibt. Aufgrund der jahrzehntelangen hohen Strahlenbelastung ist die Innenseite dieses Betonrings um den Reaktor radioaktiv geworden. Die radioaktive Betonschicht wird sorgfältig vom Rest getrennt, behandelt und als radioaktiver Abfall zu Belgoprocess gebracht.
Nach der Entfernung der biologischen Abschirmung überprüfen die Mitarbeiter alle übrigen Betonstrukturen im Reaktorgebäude. Mit speziellen Messgeräten prüfen sie jeden Zentimeter auf das mögliche Vorhandensein von Radioaktivität. Wenn nötig, kratzen sie die Oberflächen ab, um alle radioaktiven Partikel zu entfernen. Nach Abschluss dieser Arbeiten ist das Reaktorgebäude bereit für den konventionellen Abriss.
Die Abbauphase
Am Ende der Stilllegungsphase sind alle Teile des Kernkraftwerks vollständig frei von Radioaktivität oder gefährlichen Stoffen. Die verbleibenden Strukturen und Gebäude werden mit konventionellen Abbruchmethoden vollständig abgerissen. Sobald alle Einheiten abgerissen sind, wird der Standort für neue industrielle Aktivitäten vorbereitet.
Zu beachten ist jedoch, dass zu diesem Zeitpunkt an beiden Standorten noch Kernbrennstoffe in den bereits erwähnten Zwischenlagergebäuden vorhanden sind. Der Sicherheitsbereich um diese Lagergebäude wird möglicherweise kleiner sein als der des jetzigen Standorts, aber ihre Anwesenheit bedeutet, dass bestimmte - hauptsächlich sicherheitsbezogene - Einschränkungen für die Wiederverwendung des Standorts gelten werden.